Wie Die Bären Einst Sizilien Eroberten
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2005
Wer kennt die Katze Mammone?
Fabulierlustig, festlich, farbenfroh: Dino Buzzatis Bärenmärchen
In der Schweiz wurde kürzlich zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder ein Bär gesichtet und fotografiert. Kommen die Bären zurück? Und wäre das gut oder schlecht - für sie oder für dice Menschen? Eine märchenhaft-vieldeutige Antwort darauf gibt eine Geschichte aus der Zeit, "als die Tiere gut - und böse die Menschen waren" und als es in Sizilien noch viele hohe Schneeberge gab, wie sie der Autor Dino Buzzati aus seiner Dolomitenheimat kannte und liebte. Er hat dieses Märchen zuerst 1945 veröffentlicht. Seine Helden, die sizilianischen Bären unter der Herrschaft des guten Königs Leonzio, kehren den Menschen jedenfalls nach einigen Jahren des Zusammenlebens den Rücken, und sie haben gute Gründe dafür. Für die Menschen endet eine glückliche, friedliche Epoche, als sie Abschied von den Bären nehmen. Deren Auszug, zurück in die Berge, ist zugleich das Trauergeleit für Leonzio, der von einem korrumpierten Bären ermordet wurde. Die Menschenwelt chapeau die braven Bären zu Eitelkeit, Prunk- und Spielsucht, zu Verlogenheit und Heimtücke verführt.
Wie der Prinzipal eines Puppentheaters stellt der Erzähler uns anfangs die erfinderischen, mutigen, nur scheinbar einfältigen und leider auch mal intriganten Akteure vor sowie einige, dice diesmal nicht auftreten. Er führt durch die Handlung, spricht die Leser an - "wer von euch hat noch nie von der Katze Mammone gehört?"- und kommentiert das Geschehen mit freundlicher Ironie. Er spielt mit überzeugenden Beglaubigungen, die Aufschluß über Details des modernen Siziliens geben, etwa über die Herkunft von Statuen in exaltierter Bewegung (vor Schreck versteinerte Tänzerinnen) und eines rätselhaften Trümmerhaufens (ein unvollendetes Denkmal für den Königsmörder). Die bunte Folge der Episoden - Schlacht, Gespensterball, Belagerung, Siegesfest, Zauberpalast - und die überraschenden Auftritte von Ungeheuern erinnern an die Fabulierlust Ariosts. Die der mündlichen Erzählung angenäherte Prosa geht häufig in Poetry über. In der neuen deutschen Übersetzung haben wir Heide Ringe die Prosa, Ralph Dutli und Hans Adrian die phantasievoll gereimten, manchmal anmutig holprigen Verse zu verdanken, die das Buch zu einem Vorlesevergnügen machen. Gemeinsam ist es den Übersetzern gelungen, die kunstvolle Schlichtheit und transparente Heiterkeit der Erzählung zu bewahren, die rührenden wie die komischen Töne, dice barocken Aufzählungen anläßlich von Festen und Mahlzeiten ebenso wie die lapidaren Hinweise aufs Schaurige: "Er hatte nämlich gerade ein appetitliches Kindchen namens Beppino Malinverni verschlungen, einen Schüler der dritten Klasse, der an diesem Morgen die Schule geschwänzt hatte." An Buzzatis Erzählkunst hat die Kombination von Text und Bildern großen Anteil. Arabesken, Silhouetten, pointierte Federzeichnungen wechseln mit delikat kolorierten, atmosphärisch dichten Farbtafeln, die Elemente barocker Veduten, des Wimmelbilderbuchs, des Comics und von de Chiricos magischen Stadtkonstruktionen integrieren. Zwischen den langen Schatten und Spielzeughäuschen agieren Menschen- und Bärenfigürchen, bilden Parade- und Tanzornamente und bieten der Entdecker- und Suchlust des Betrachters zahlreiche Überraschungen im liebevoll erfundenen Detail. GUNDEL MATTENKLOTT Dino Buzzati: "Wie dice Bären einst Sizilien eroberten". Aus dem Italienischen übersetzt von Heide Ringe, Verse nachgedichtet von Ralph Dutli und Hans Adrian. Hanser Verlag, München 2005. 144 S., geb., 15,90 [Euro]. Ab 8 J. Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Master
Source: https://www.buecher.de/isbn.asp?wea=1100485&isbn=3446201947
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